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"Sicherstellung der Fachlichkeit und Expertise" als Erfolgsfaktor im Change Management

18/9/2013

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Dr. Gabrielle Schlittler
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Das Change Management hat zur Aufgabe, im Rahmen der Prozessgestaltung und -führung dafür zu sorgen, dass zielerfüllende Lösungen entwickelt und diese engagiert und motiviert umgesetzt werden. Mit der zunehmenden Professionalisierung und Standardisierung der Methoden haben allerdings v.a. diejenigen Massnahmen an Boden gewonnen, welche bei den Mitarbeitenden zu einer besseren Ak­zeptanz der Veränderung führen. Über die Bedingungen, die notwendig sind, um wirksame Lösungen überhaupt erst hervorbringen zu können – nämlich die Sicherstellung der Fachlichkeit und Expertise –, wird weniger gesprochen. Man scheint eher davon auszugehen, diese Basis sei gewährleistet. Be­obachtungen in der Praxis hinterlassen Zweifel an dieser Annahme. Deshalb erachte ich es als ange­messen, diesen Aspekt auf Ebene der Erfolgsfaktoren des Change Managements zu verankern und ein Set von Indikatoren und konkreten Massnahmen zu definieren, die darüber Aufschluss geben, inwie­fern die fachlichen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Veränderungsprozess erfüllt sind.


Sorgt das Change Management hinreichend für die notwendige Fachlichkeit?

Veränderungs- und Innovationsvorhaben werden heute viel gekonnter gestaltet und geführt als noch vor 15 Jahren. Projektarbeit ist – zumindest vom Prozessmanagement her – zur Routine ge­worden. Dazu beigetragen haben die Professio­nalisierung und Standardisierung des Change Managements, die zahlreichen Weiterbildungen zum Thema sowie die zunehmende Integration dieses Wissens in den Führungsalltag.
Allerdings fällt mir in der Praxis auf, dass unter der Standardisierung sowie den zunehmenden Bemü­hungen, Mitarbeitende mit auf den Weg zu neh­men, die Beachtung der fachinhaltlichen Aspekte weniger Raum bekommt. Breit angelegte Untersu­chungen wie die Change-Management-Studie von Capgemini Consulting (2012, S. 26f.)[1] untermauern diese Beobachtung. Als Erfolgsfakto­ren des Change Managements werden rein proze­durale Aspekte identifiziert, und für die Zukunft wird den emotionalen Aspekten eine höhere Be­deutung beigemessen. Die Relevanz der Fachlich­keit wird nicht erwähnt. Vorgehensfragen schei­nen zu Las­ten der Inhalte an Boden zu gewinnen. Dies führt oftmals zur trügerischen Annahme, im Projekt gut voranzukommen, was zwar vom Errei­chen der Milestones her stimmen mag, aber nicht unbe­dingt auch auf die Qualität der inhaltlichen Ent­wicklung zutrifft. Hierzu einige Beispiele, wie das im Projektalltag geschieht:
  • Projektteams werden von den zu involvieren­den Stellen und Stakeholdern her zunehmend richtig und gut ausgewogen zusammen­ge­setzt. Allerdings machen diese Team­mitglie­der denjenigen den Platz streitig, die auf­grund ihrer Fachkompetenz zwingend inte­griert werden sollten. Wenn deswegen die kritische Masse an Fach-Know-how nicht mehr erreicht wird, leidet auch die inhaltliche Qualität der Ergebnisse.
  • Heute weiss man, welche Daten in der Ana­lysephase zu erheben sind. Allerdings sind die Auswertungen nicht immer aufschluss­reich, weil sie oft auf der deskriptiven Ebene ver­harren. Zahlen werden ungenügend ins Ver­hältnis gesetzt, gewürdigt, als gut oder schlecht bewertet und in Relation mit ande­ren Grössen gesehen. Es mangelt an der kon­zeptionellen Einordnung qualitativer und quantitativer Daten und der Herstellung der relevanten Zusammenhänge. So hat bei­spielsweise die Leitung einer Technologie­firma, die sich selbst immer noch in der Pio­nierphase sah, nicht bemerkt, dass ihre Ana­lyseergebnisse wie „zunehmender Konkur­renzdruck“ und „sinkende Preise“ etc. darauf hinwiesen, dass sie mit ihrem Produkt bereits in der Reifephase angekommen waren. Mit dieser Erkenntnis konnte die Strategiefindung we­sentlich qualifizierter geführt werden als mit Findings, die sie nicht einordnen konnte. Für die Interpretation von Analyseergebnis­sen braucht es zwingend die fachspezifische Expertise mit scharfem analytischem Blick und Mut zur Bewertung. Sonst hat man zwar vom Projektablauf her den Milestone Analyse er­ledigt und „grün“ markiert, aber nicht das er­reicht, was man wollte, nämlich aussage­kräf­tige Erkenntnisse, die helfen, die richtigen strategischen Entscheidungen zu treffen.
  • Im Interesse des Change-Management-Erfolgs­faktors „Stakeholder beteiligen“ wird die Lösungsentwicklung oft breit abgestützt und mit allen Betroffenen und Interessen­gruppen besprochen. Vor der Entscheidung wird dann sorgfältig geprüft, ob die Ergeb­nisse auch auf Akzeptanz stossen. Dieses Vorgehen führt automatisch zu Kompro­misslösungen, die zwar politisch tragfähig, aber von der inhaltli­chen Lösung her nicht mehr unbedingt stim­mig, widerspruchsfrei und zielführend sind. Griffige Lösungen können es selten allen recht machen – umgekehrt können Kompromiss­lösungen an Wirksamkeit einbüssen. Von der Prozessführung her mag dieses konflikt­vermeidende Vorgehen kurz­fristig angenehm sein und die Leute gewinnen. Aber die län­gerfristigen Auswirkungen können verhee­rend sein, wenn dadurch Unternehmen ein­malige Chancen verpassen, die Lösungen nicht greifen und scheitern. Fehlt der Advo­kat für die Sachlösung, gewinnt die Kompro­misslösung. Das kann in manchen Situationen sinnvoll sein, hat aber auch schon manche Unternehmen in den Ruin getrieben.
  • Extern eingebrachte Lösungen werden auf­grund des „Not-invented-here-Syndroms“, des „Bei-uns-ist-alles-anders-Arguments“ u.ä. oft zu schnell verworfen. Die Grundsätze der Or­ganisationsentwicklung, wonach die Lösun­gen am besten durch die Betroffenen selbst erarbeitet werden sollen, sind vom Change Management aufgegriffen worden. Das mag in bestimmten Situationen der rich­tige Ansatz sein, in anderen aber nicht. Bei fehlendem Know-how und ausgeprägter Betriebsblind­heit braucht es Impulse von aussen. Die Blo­ckade führt dazu, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, von aussen kommende Gedankenansätze gar nicht ernst genommen werden, auch wenn es genau diese sind, die das Denken öffnen und zu neuen – wenn auch anderen – Lösungen führen könnten. Statt sich die Zeit und Mühe zu nehmen, sich auf neue Ansätze einzulassen, Annahmen zu hinterfragen, lässt man es auf Kosten einer besseren Lösung zu, dass situationsbezogen unangemessene Glaubenssätze zum Vorge­hen die Oberhand gewinnen.
  • Reportings kommen heute mit Ampelsystem übersichtlich und professionell daher. Sie führen aber dazu, dass man sich auf die „ro­ten“ Aspekte konzentriert. Über die „grü­nen“ Teile spricht man unter Zeitdruck seltener, und es wird folglich auch nicht genügend ge­prüft, ob diese von der inhaltlichen Lösung her zum Ziel führen. Schätzen Projektleitende einzelne Arbeitspakete als „grün“ ein, bleiben inhaltliche Diskussion, Würdigung und die allfällig notwendigen Einwände aus. Dank übersichtlicher Tools wiegt man sich in fal­scher Sicherheit über den Fortschritt des Projektes. So kann es geschehen, dass man zwar vom Prozessablauf her und zeitlich „on-track“, aber inhaltlich „off-track“ ist.
  • Gelangen dann die Projektergebnisse in die obersten Entscheidungsgremien, fehlt es nicht selten an der notwendigen Fachkompe­tenz, um zu erkennen, ob die Lösungen sinn­voll sind. Besonders auffällig ist dies bei tech­nisch komplexen Sachverhalten.
Diese Beobachtungen bereiten mir Sorge. Wenn das Change Management es nicht schafft, im Rahmen der Gestaltung und Führung des Ver­än­derungsprozesses Massnahmen zu ergreifen und Bedingungen zu schaffen, die nicht nur die Mit­arbeitenden mit auf den Weg nehmen, son­dern auch zu zielkonformen Lösungen führen, dann verfehlt es seine Mission und verliert seine Legi­timität. Auch wenn gemäss der Studie von Cap­gemini Consulting (2012, S. 20) die emotionalen und politischen Aspekte zu 77% über den Erfolg von Projekten entscheiden, kommt ohne die 23% Rationalität kein Ergebnis zustande.


Fachlichkeit und Expertise als Erfolgsfaktor des Change Managements

Vor diesem Hintergrund plädiere ich für eine In­tegration des Fokus auf die fachinhaltlichen As­pekte in die Erfolgsfaktoren des Change Mana­gements. Der entsprechende Erfolgsfaktor könnte „Sicherstellung der Fachlichkeit und Ex­pertise“, „Sachorientierung und Fachkompetenz sicher­stellen“ o.ä. lauten und soll das Augen­merk darauf richten, ob die notwendige Expertise und die in­haltlichen Aspekte in sämtlichen Teilen des Pro­jektes genügend Beachtung und Priorität bekom­men. Es geht notabene nicht darum, dass das Change Management bei der Lösungsentwicklung selbst Hand anlegt, sondern dass es die Bedingun­gen schafft, damit zielorientierte Lösungen über­haupt zustande kommen. Es geht auch nicht da­rum, die bisherigen Errungenschaften in Bezug auf die weichen Faktoren in Frage zu stellen, sondern um die Gewährleistung der bestmöglichen Kombi­nation von lösungs- und akzeptanzfördernden Massnahmen im Change Management.

 
Indikatoren und Massnahmen

Wie können Change Manager konkret überprü­fen, ob in ihrem Projekt der Erfolgsfaktor „Sicher­stellung der Fachlichkeit und Expertise“ erfüllt ist? Was können sie für Massnahmen ergreifen, um der Anforderung gerecht zu werden? Auf Basis langjähriger Erfahrungen habe ich eine Vielzahl von Indikatoren und beispielhaft dazugehörige messbare Massnahmen identifiziert und in Form nachfol­gender Checkliste zusammengefasst.
Die Projektorganisation verfügt auf allen Ebenen stufengerecht über hinreichende Fachkompetenzen
  • In den Arbeitsgruppen und im Projektteam trifft man die internen Fachexperten und -­expertin­nen an
  • Die Projektleitung verfügt über ein tiefes Verständnis des Sachverhaltes, kennt die inhaltlichen Zusam­menhänge, kann fachliche Impulse geben und die Qualität und Wirkung der erarbeiteten Lö­sungen würdigen
  • In der Projektsteuerung ist die entsprechende Fachexpertise vertreten
  • Auf allen Ebenen sind so viele Fachkundige, dass sowohl vom Inhalt wie auch von der Gruppen­dyna­mik her eine qualifizierte Diskussion möglich ist (eine Person auf sieben reicht meistens nicht aus)
  • Nebst den relevanten Führungsrollen wie dem „Prozessowner“, „Machtpromotor“ und „Projekt­sponsor“ o.ä. gibt es auch den „Fachowner“, „Lösungsowner“, „Lösungsadvokaten“ o.ä.
  • Sind die Fachressourcen intern nicht vorhanden, werden sie von extern eingekauft und bedarfs­gerecht in die Projektorganisation eingewoben

Es ist klar definiert, welchen inhaltlichen Kriterien die Lösungen genügen müssen
  • Auf Ebene der Projektziele sind für eine erste Orientierung ein paar griffige Fachkriterien und Rahmen­bedingungen definiert, denen die Lösungen genügen müssen
  • Bei der Entwicklung von Lösungskonzepten und Teillösungen werden die Kriterien konkretisiert, denen sie genügen müssen
  • Die Kriterien sind zielführend und so konkret und messbar wie möglich definiert
  • Die Entscheidungsgremien kennen die Kriterien und sind mit ihnen einverstanden

Das neuste Wissen zum jeweiligen Sach­verhalt fliesst ins Projekt ein
  • Experten werden eingeladen
  • Konferenzen werden besucht und das gewonnene Wissen intern diffundiert
  • Gespräche mit Branchenspezialisten, Verbänden, Lieferanten, Lobbyisten etc. werden geführt
  • Branchentrends werden erhoben
  • Konkurrenten werden analysiert
  • Es wird recherchiert, es zirkulieren Artikel zum Thema
  • Projektmitglieder informieren regelmässig über neu gewonnene Erkenntnisse, es wird darüber gere­det, auch ausserhalb der Projektsitzungen

Analyseergebnisse sind schlüssig, ergeben Sinn und bieten Orientierung
  • Die Auswertungen sind analytischer Natur und nicht rein deskriptiv
  • Zahlen werden ins Verhältnis gesetzt
  • Aussagen werden konzeptionell eingeordnet
  • Aussagen sind konkret
  • Erkenntnisse werden bewertet, für gut oder weniger gut befunden
  • Die Annahmen sind transparent und werden hinterfragt
  • Ergebnisse werden von Fachexperten geprüft und gewürdigt (2nd Opinion)
  • Aus den Ergebnissen können Konsequenzen und Anforderungen an die sachlichen Lösungen abgelei­tet werden

Bei der Lösungsentwicklung wird in Optio­nen gedacht, und Lösungen werden mit Hilfe zielführender Kriterien bewertet
  • Es wird in Optionen gedacht, und es werden verschiedene, in sich stimmige Lösungsoptionen erarbei­tet (sinnvolle Kombinationen von Ausprägungen)
  • Ergebnisse von Workshops und Veranstaltungen zur Ideensammlung und offenen Reflexion mögli­cher Lösungen werden zu in sich stimmigen und widerspruchsfreien Optionen gebündelt
  • Vorschläge von Externen werden als Option integriert
  • Die Optionen werden mit Hilfe der oben erwähnten Bewertungskriterien systematisch diskutiert und gewürdigt
  • Die Vor- und Nachteile der Lösungen sind transparent

Lösungen werden fachinhaltlich mehrfach hinterfragt und geprüft
  • Lösungen werden internen und/oder externen Fachexperten vorgelegt, die bei der Entwicklung nicht dabei waren und deshalb den Sachverhalt mit einem „frischen Blick“ würdigen können
  • Lösungen werden von Vorgesetzten kritisch geprüft und hinsichtlich weiterer betrieblicher Zusammen­hänge reflektiert
  • Zweitmeinungen werden eingeholt
  • Der Projektblindheit wird mit gezielten Massnahmen begegnet

Reportings fokussieren nicht nur auf proze­durale Aspekte (Erreichung von Meilenstei­nen, Budgeteinhaltung etc.), sondern geben auch Auskunft, inwiefern die Arbeiten inhaltlich „on-track“ sind
  • Es besteht auch ein inhaltliches Monitoring und Reporting
  • Das inhaltliche Monitoring orientiert sich an den Kriterien, denen die inhaltlichen Lösungen genügen müssen
  • Die Projektsteuerung weiss, wo das Projekt inhaltlich steht, inwiefern die Arbeiten zielführend und welche inhaltlichen Probleme zu lösen sind

Interessenkonflikte werden mutig ange­packt
  • Interessenkonflikte, die sich aufgrund von Projektinhalten ergeben, werden aktiv angegangen
  • Die Konfliktbewältigung muss diejenigen Kriterien stets im Auge haben, welchen die Problemlösung genügen muss
  • Ein Fachspezialist ist in die Konfliktlösung involviert
  • Werden inhaltliche Kompromisse im Interesse der Akzeptanz vorgenommen, sind die Argumente dafür und dagegen transparent zu machen und den Entscheidungsgremien vorzulegen
[1] Capgemini Consulting (2012): Digitale Revolution. Ist Change Management mutig genug für die Zukunft? München.
© Dr. Gabrielle Schlittler (2013): http://www.vianova-blog.com/blog--herausgepickt/sicherstellung-der-fachlichkeit-und-expertise-als-erfolgsfaktor-im-change-management
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